"Mir bleibt nichts als der Optimismus" - ORF-Chefmeteorologe Marcus Wadsak im tele-Gespräch

Der ORF-Chefmeteorologe Marcus Wadsak im tele-Gespräch über die Folgen des Klimawandels und wie wir uns noch retten können.

20190114 PD18440 edited

tele: Herr Wadsak, die Corona-Krise überlagert die Klimakrise, die zuvor medial schon recht präsent war. Können Sie schon abschätzen wie sich die Corona-Krise auf die Klimakrise auswirken wird?
Marcus Wadsak: In der Wahrnehmung der Menschen ist es momentan einfach nachvollziehbar, dass die Corona-Krise alles in den Schatten stellt. Es ist ja nicht nur die Klimakrise, die uns bedroht. Wir haben auch die überfüllten Flüchtlingslager und wir haben auch in Österreich ganz andere Probleme, die in den Medien jetzt kaum bis wenig Platz finden. Das Gute an der Klimakrise ist, dass sie im Vorfeld schon so im Bewusstsein der Menschen verwurzelt ist, dass sie nicht vergessen wird. Und es ist würdig und recht jetzt nicht jeden Tag die Titelseiten mit der Klimakrise zu füllen. Das ist nachvollziehbar. Ich glaube aber wir werden durch die Corona-Krise einiges sehen und hoffentlich noch mehr daraus lernen, was wir in Hinblick auf die Klimakrise dann anwenden können.

Was könnten wir denn lernen?
Ich bin fast jeden Tag damit beschäftigt Parallelen zu finden und sie aufzuschreiben, um sie nachher auch verarbeiten zu können. Zum ersten werden wir möglicherweise sehr gut sehen, wie wichtig es ist, wissenschaftsbasiert zu handeln. Wir haben momentan ein interessantes Feldexperiment laufen, dass Regierungen sehr rasch auf Experten gehört haben und von denen vorgeschlagene Maßnahmen ergriffen haben. Und wir haben Regierungen – und es sind ähnliche Regierungen, die den Klimawandel gerne abgetan haben - die diese Maßnahmen nicht für nötig empfunden haben, und die teilweise schon jetzt radikalst nachrudern und umlenken. Hier werden wir nachher hoffentlich wissen, dass es gut ist auf die Wissenschaft zu hören, weil sie das liefert, was es braucht um die richtigen Maßnahmen zu treffen. Das zweite ist ein ganz banales Beispiel: wir haben unsere Mathematikkenntnisse besser kennengelernt. Viele von uns wissen jetzt, was exponentielle Kurven sind. Und damit auch was es heißt, wenn wir unverändert CO2 oder andere Treibhausgase in die Atmosphäre schmeißen und wir wissen auch, dass der Meeresspiegelanstieg möglicherweise exponentiell verlaufen wird. Wie auch die Temperaturzunahme. Ich glaube also wir können aus dem Wissen, das wir uns jetzt in der Corona-Krise aneignen, dann Dinge leichter klar machen die den Klimawandel betreffen. Und zuletzt glaube ich, dass wir in dieser wie in jeder anderen Krise draufkommen werden, dass es globale Bedrohungen sind, die wir nur global lösen können.

Global agieren Sie mit der Initiative „Climate withour borders“, die Sie mitbegründet haben. Wurden hier nun weltweit die Klima-Aktivitäten zurückgefahren?
Wir haben gerade eine Konferenz abgehalten mit Belgien, den USA und Taiwan. Wir haben in dieser Diskussionsgruppe tatsächlich nur über die Corona-Krise in den Ländern geredet. Das was Taiwan unternimmt ist ja auch sehr spannend, vor allem mit dem was im Vergleich zu den USA tun. Und wir haben auch gemeinsam ganz klar empfunden, dass wir unsere Aufklärtätigkeit jetzt reduziert haben, ganz unabhängig voneinander. Es ist jetzt nicht die Zeit, radikal zu fordern. Es ist schon die Zeit, dass uns das Klima im Bewusstsein bleibt. Und es ist hoffentlich jetzt bald die Zeit zu erkennen, dass der Weg aus der Corona-Krise vielleicht im besseren Fall nicht der Weg ins alte Normal zurück ist. Wir haben in der Corona-Krise gesehen, was alles möglich ist. Wir zwei sitzen jetzt daheim und reden. Früher wären Sie wahrscheinlich zu mir gefahren oder ich zu Ihnen, es war einfach nicht denkbar, dass man sich diese Wege erspart, und Konferenzen über Video abhält. Wir merken, dass nicht jeder Weg, den wir früher zurückgelegt haben, unbedingt nötig ist. Wir sehen jetzt auch, dass eine Krise dazu führen kann, dass der Flugverkehr radikal reduziert wird. Wir sehen Maßnahmen, die in anderen Bereichen schon früher gefordert wurden, und hier hieß es bisher immer „es geht nicht, das ist unmöglich“ – wir sehen jetzt auch: es ist viel mehr möglich als wir uns ausdenken konnten.

Klimakrise, Klimakatastrophe, Klimawandel: Ihr Buch heißt Klimawandel, sind wir nicht schon in einer Krise?
Marcus Wadsakt Klimawandel Verlag Braumüller cDas ist eine sehr spannende Diskussion, die gerade wild geführt wird. Ich habe mich bewusst für den Titel „Klimawandel“ ausgesprochen. Das hat einen Grund: Ich halte jetzt den Begriff „Klimawandel“ für das, was am meisten gesucht wird. Was gibt man als erstes ein? Klimakatastrophe, Klimakrise oder Klimawandel? Das Buch ist der Versuch so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Es ist so geschrieben, dass es jeder verstehen kann. Und daher fand ich es auch notwendig, einen Begriff zu verwenden, der die Alltagstauglichkeit erfüllt. Wir wissen aber, dass wir bereits in einer Klimakrise sind. Und wenn wir nichts tun in der Klimakatastrophe enden werden. Es ist auch sehr gut, diese Abstufung noch zu haben. Beim Klimawandel muss man auch viel weiter in der Erdgeschichte zurückschauen, auch dahin als es noch keine Menschen gab. Einen Klimawandel hat es in der Tat immer gegeben. Jetzt aber haben wir einen anderen Klimawandel, menschengemacht. Und die Krise besteht ja vor allem darin, dass nun Menschen betroffen sind. Die Natur ist in weiten Bereichen mit den Klimawandeln, die es in früherer Zeit gab, immer ganz gut zurechtgekommen. Wir Menschen sind da nicht so anpassungsfähig, vor allem nicht so schnell wie wir den Klimawandel verursachen. Und die Klimakatastrophe ist das was uns blüht, wenn wir nicht handeln. Diese drei Abstufungen finde ich gut, und der deshalb der Buch-Titel. das Spannendste für mich war die Diskussion mit dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, der ein Foto und eine kleine Zeile zu meinem Buch beigesteuert hat: Er besteht darauf Klimakrise zu sagen, und aus jetziger Sicht: Er hat Recht.

Was sind denn drastische Auswirkungen, die wir schon sehen? Und was blüht uns in Österreich?
In Österreich ist es definitiv die Zunahme der Rekorde. Ich arbeite jetzt seit 25 Jahren im ORF und mache dort das Wetter, von Radio Ö1, Ö3 bis hin zur „Zeit im Bild“. Mit meinem Studium sind es 30 Jahre, die ich mich mit dem Wetter beschäftige. Das ist die Zeitspanne, die als Klimanormalperiode definiert ist. Das ist eine Periode, die ich anschauen darf, denn in 30 Jahren sehe ich Klima. Das ist aus gutem Grund so definiert. In diesen 30 Jahren, in denen ich mich intensiv mit dem Wetter beschäftige, hat sich wahnsinnig viel geändert. Als ich begonnen habe, war ein Rekord etwas wirklich Besonderes. Vielleicht ein- zweimal im Jahr haben wir ein noch nie dagewesenes Wetterereignis präsentieren können. Mittlerweise passiert das jedes Monat. Und es ist so eindeutig immer in Richtung zu „wärmster Monat“, „so heiß wie noch nie“, „so ein warmer September wie überhaupt noch nie“, „2018 war das wärmste Jahr der Geschichte“… Es sind fast immer die Rekorde nach oben. Wir haben 2013 zum ersten Mal 40 Grad gemessen. Der alte Hitzerekord in Österreich hat 30 Jahre lang gehalten, der wurde jetzt gebrochen. Ich glaube der neue Rekord von 40,5 Grad wird keine 30 Jahre bestehen, hingegen gehe ich davon aus, dass die -36,6 Grad aus Zwettl – der Kälterekord – nun ewig halten wird. Das sind reale Dinge, die sich in 30 Jahren geändert haben. Und gerade bei diesen Rekorden wissen wir: Von fünf neuen Rekorden – und wir erleben sie am laufenden Band – sind vier auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen.

Was sind die besten Hebel, um diese Rekorde zu verlangsamen?
Der Pfad ist ganz klar vorgegeben. Die Wissenschaft sagt uns ganz genau, was zu tun ist, und in vielen Regierungspapieren und im Pariser Klimaabkommen ist das auch schon unterschrieben. Wir müssen raus aus dem Ausstoß von Treibhausgasen. Wir müssen raus aus der Nutzung von fossilen Energieträgern. Das ist das Problem. Wir stoßen selbst jetzt in der Corona-Krise, wo kaum Flugzeuge fliegen, wo viel weniger Menschen mobil sind, mehr CO2 aus, als wieder abgearbeitet wird. Wir müssen bis 2050 CO2 neutral sein, wir dürfen dann keine Treibhausgase mehr ausstoßen, die nicht gleichzeitig abgebaut werden können. Die österreichische Regierung hat dieses Vorhaben in ihrem Regierungsabkommen sogar auf 2040 vorgesetzt, weil es dringend ist. Und das ist der Punkt, da kann jeder etwas tun, im Großen wie im Kleinen: Wir müssen weniger Treibhausgase emittieren.

Ist das Bewusstsein der ÖsterreicherInnen schon so weit ist, dass die Menschen von selber draufkommen? Oder muss man sie zwingen?
Vielleicht wieder der Vergleich mit der Corona-Krise: Nicht alles ist jetzt geboten oder verboten, was viele Menschen nun schon freiwillig machen. Wir haben viele Menschen schon vor der Verordnung gesehen, die mit Masken auf die Straße gegangen sind. Möglicherweise hatten sie recht. Und es braucht nicht für alles ein Gesetz und einen Erlass, und einen Zwang. Viele Menschen werden - wenn sie die Möglichkeit auch leichter zur Verfügung haben - automatisch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und auch regional und saisonal einkaufen – wenn ich es ihnen schmackhaft mache. Wenn ich es schaffe, den Menschen zu erklären, dass es auch besser ist, wenn er heimische Produkte konsumiert – nicht nur für das Klima, sondern auch für jeden selbst. Unsere Produkte sind meistens hochwertiger. Unsere Bauern produzieren wunderbar, auch wenn man Fleisch essen will. Auf das heimische Fleisch mit seinen diversen Gütesiegeln kann ich mich verlassen. Ich esse kein argentinisches Steak, weil ich keine Ahnung habe, wie dort die Tiere gehalten werden, aber ich kann es mir in etwa vorstellen. Das ist nichts, was ich meinem Körper zufügen will. Und: Bevor ich Verbote und Gebote erlasse, versuche ich doch zu steuern. Das ist doch wunderbar. Ich habe 40 Jahre in Wien gelebt. Wenn ich die Wahl habe – das ist jetzt bei der Mobilität, dem zweiten großen Punkt, der jeden betrifft – um nur einen Euro pro Tag die wunderbaren öffentlichen Verkehrsmittel der Wiener Linien verwenden zu können, dann überlege ich doch nicht, ob ich dort mit meinem Auto im Stau stehen will oder einen Parkplatz suche, während ich eh schon gar nicht mehr weiß, wo ich parken darf. Ja, ich bin gegen Verbote, aber ich bin dafür, dass die Dinge ihren ehrlichen Preis kosten. Es sollte nicht mehr möglich sein, dass Produkte die weit gereist sind und dadurch klimaschädlich sind, billiger sind als das, was gut für uns und unsere Umwelt ist. Hier muss man den Hebel ansetzen und diese Möglichkeiten zu bieten. Billiger ist ein Kaufargument für viele, die nicht Unmengen an Geld zur Verfügung haben. Das Gute, das Klimafreundliche muss gefördert werden. Ich habe auch bis heute nicht verstanden, warum ich für alles Steuern zahlen muss, aber Flugzeuge für Kerosin nicht. Daher kann vieles, was unter nicht guten Bedingungen produziert wurde, und weit gereist ist immer noch billiger sein als unsere Produkte hier – das ist nicht fair und ich hoffe, dass das geändert wird.

Wie blicken Sie denn in die Zukunft?
Mir bleibt nichts als der Optimismus. Vielleicht der wesentliche Punkt, der mich derzeit optimistisch verharren lässt, ist die Wissenschaft – wie immer berufe ich mich gerne auf die Wissenschaft. Und auch in meinem Buch steht: Es gibt wissenschaftlich derzeit keinen Grund, warum wir die Pariser Ziele nicht einhalten könnten. Das heißt: Möglich ist es. Das was wir schaffen wollen, ist unter zwei Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zu bleiben. Noch haben wir die Möglichkeiten, aber es ist dringend. Und der Optimismus beschleicht mich auch immer wieder. Ich war letztes Jahr und heuer wahnsinnig viel an Schulen und mit Vorträgen unterwegs. Und ich merke, dass die Menschen ein immer größeres Bewusstsein für die Problematik entwickeln und auch eine immer größere Bereitschaft entwickeln, hier wirklich anzupacken. Wir müssen dieses Problem lösen und ich glaube wir werden es auch – weil wir es schön langsam wirklich alle verstehen.

 

Buchtipp:

Marcus Wadsak: Klimawandel - Fakten gegen Fake & Fiction

Marcus Wadsakt Klimawandel Verlag Braumüller cDieses Buch ist eine unschlagbar kompakte Informationsquelle auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft mit Antworten auf die brennendsten Fragen zum Thema Klimawandel. Denn wir sind die erste Generation, die die Folgen spürt, und die letzte, die etwas dagegen tun kann. Und wer denkt beim Stichwort „Klimawandel“ noch an verzweifelte Eisbären auf dahinschmelzenden Eisschollen? Wir sind längst selbst davon betroffen. Hitzesommer, Dürren und sommerliche Tage im Spätherbst lassen keinen Zweifel mehr zu: Es wird immer heißer. Niemand hat diese Veränderungen unserer Umwelt genauer im Blick als der Wetterexperte Marcus Wadsak. Was passiert gerade mit unserem Planeten? Und vor allem: Was können wir tun, damit auch unsere Kinder und Enkel noch hier leben können?

Braumüller-Verlag

erschienen: 02.03.2020

Seiten: 144

Preis: € 18,00

tele Zeitschriftenverlag © 2021
Cookies helfen uns bei der Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung dieser Seite erklären Sie sich damit einverstanden.